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Hintergrund

Bisherige und aktuelle Rechtsentwicklungen

Das schweizerische Beschaffungsrecht hat seine Ursprünge im GATT/WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen vom 15. April 1994 (GPA 1994). Das plurilaterale Abkommen wurde im Rahmen der Uruguay-Runde verhandelt und zur Unterzeichnung aufgelegt. Das GPA 1994 bezweckt die Liberalisierung der Beschaffungsmärkte, indem es den Marktzugang für alle Anbieterinnen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft erleichtert. Die Rezeption des GPA 1994 hat zu einer Kodifikationswelle auf Stufe Bund und Kantone geführt. Resultate waren zum einen der Erlass des aBöB und der aVöB, zum anderen der Abschluss der aIVöB und deren Umsetzung in den kantonalen Rechtsordnungen.

Der zweite Regulierungsschritt erfolgte im Zusammenhang mit dem bilateralen Abkommen mit der EU über bestimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungswesens vom 21. Juni 1999, das für die Schweiz am 1. Juni 2002 in Kraft getreten ist (BilatAbk). Das BilatAbk erweitert den Geltungsbereich des GPA 1994 auf Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge (i) von Bezirken und Gemeinden, (ii) von Anbieterinnen von Telekommunikationsdienstleistungen, (iii) von Anbieterinnen von Dienstleistungen des Schienenverkehrs, (iv) von den im Bereich der Energieversorgung mit Ausnahme der Stromversorgung tätigen Vergabestellen und (v) von den privaten Vergabestellen, die auf der Grundlage ausschliesslicher oder besonderer Rechte öffentliche Dienstleistungen erbringen und die im Bereich der Trinkwasser-, Strom- und städtischen Verkehrsversorgung, der Flughäfen und der Binnen- und Seehäfen tätig sind. Das BilatAbk wurde durch eine Revision der aVöB sowie die Anpassung der kantonalen Erlasse umgesetzt.

Mangels einer umfassenden Bundeskompetenz zur Vereinheitlichung des Beschaffungsrechts waren die Rechtsgrundlagen auf Stufe Bund und Kantonen früher stark zersplittert. Dadurch wurde nicht zuletzt der diskriminierungsfreie Marktzutritt der Anbieterinnen gefährdet. Aus diesen und anderen Gründen gab der Bund im Frühsommer 2008 eine Totalrevision des aBöB in die Vernehmlassung. Der Entwurf wurde jedoch kontrovers aufgenommen. Auf heftigen Widerstand bei den Kantonen stiess insbesondere die vorgeschlagene Teilvereinheitlichung des Beschaffungsrechts auf nationaler Ebene. Daraufhin beschloss der Bundesrat im Sommer 2009, verschiedene Neuerungen zunächst auf Verordnungsebene umzusetzen und die Totalrevision des Gesetzes vorerst zu sistieren.

Die Revision des schweizerischen Beschaffungsrechts kam erst wieder ins Rollen, nachdem Ende 2011 auf der WTO-Stufe die Verhandlungen zur Revision des GPA 1994 abgeschlossen worden waren. Das revidierte Übereinkommen wurde im Jahr 2012 von den Vertragsstaaten formell angenommen. Dem GPA 2012 sind bisher 48 Mitglieder beigetreten, darunter die 27 Mitgliedstaaten der EU, das Vereinigte Königreich, Kanada, die Vereinigten Staaten, Australien und Japan. Nach der Unterzeichnung des GPA 2012 wurde eine paritätische Arbeitsgruppe Bund–Kantone beauftragt, einen Vorschlag zur Umsetzung des GPA 2012 mit harmonisierten Beschaffungsordnungen auszuarbeiten. Das Ergebnis wurde zur Grundlage der Gesetzgebungsverfahren in Bund und Kantonen.

Am 21. Juni 2019 verabschiedete das Eidgenössische Parlament das totalrevidierte BöB. Es trat zusammen mit der ebenfalls totalrevidierten VöB am 1. Januar 2021 in Kraft. Diese enthält, mit Ausnahme des Wettbewerbskapitels (siehe Kapitel Wettbewerbe), fast ausschliesslich Vollzugsbestimmungen. Die von den Kantonen am 15. November 2019 verabschiedete totalrevidierte IVöB tritt in Kraft, sobald ihre zwei Kantone beigetreten sind. Nach einem rund zehnjährigen Gesetzgebungsprozess konnte die Schweiz das GPA 2012 als letzter Vertragsstaat ratifizieren; es trat für sie Anfang 2021, d.h. zeitgleich mit dem totalrevidierten BöB, in Kraft.

Die Revision bringt zahlreiche Neuerungen mit sich, die der Flexibilisierung und Modernisierung des Beschaffungswesens dienen (siehe Kapitel neue Instrumente) und die Rechtssicherheit und die Anwenderfreundlichkeit des Beschaffungsrechts schweizweit verbessern. Dazu gehören die Legaldefinition des öffentlichen Auftrags sowie die Unterstellung der Verleihung gewisser Konzessionen und der Übertragung öffentlicher Aufgaben. Zentrale Bedeutung kommt künftig der Vermeidung und Sanktionierung von Korruption und Kollusion zu. Die wichtigste Neuerung ist die weitgehende Harmonisierung des schweizerischen Beschaffungsrechts auf allen föderalen Ebenen. BöB und IVöB regeln Beschaffungen im sogenannten Staatsvertragsbereich sowie Binnenbeschaffungen, sehen für Letztere jedoch gewisse Privilegien vor (z.B. Einladungsverfahren, kürzere Angebotsfristen). Verbleibende Unterschiede zwischen BöB und IVöB gehen primär auf organisatorische Differenzen zwischen den Gemeinwesen der verschiedenen Stufen zurück. Zudem wird auf Bundesebene – anders als im kantonalen Recht – bei öffentlichen Aufträgen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs kein Primärrechtsschutz gewährt (siehe Kapitel Rechtsschutz).