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Geltungsbereich

Objektiver Geltungsbereich

Öffentlicher Auftrag

  • Bei einer Beschaffung fragt die öffentliche Hand Leistungen von Privaten nach, um eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen – Beschaffungen sind «Einkäufe des Staates».
  • Art. 8 Abs. 1 BöB / IVöB definieren den «öffentlichen Auftrag» funktional (und nicht formal), nämlich als «Vertrag, der zwischen Auftraggeberin und Anbieterin abgeschlossen wird und der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe dient. Er ist gekennzeichnet durch seine Entgeltlichkeit sowie den Austausch von Leistung und Gegenleistung, wobei die charakteristische Leistung durch die Anbieterin erbracht wird».
  • Dies entspricht den staatsvertragsrechtlichen Vorgaben von Art. II:2 GPA 2012.

Leistungen

Es werden Bauleistungen, Warenlieferungen und Dienstleistungen unterschieden (Art. 8 Abs. 2 BöB / IVöB). Dem Staatsvertragsbereich unterstehen

  • Bauleistungen gemäss der Positivliste in Anhang I Annex 6 GPA 2012 / Anhang 1 BöB,
  • Dienstleistungen gemäss Anhang I Annex 5 GPA 2012 / Anhang 3 BöB und
  • grundsätzlich alle Warenlieferungen (Anhang I Annex 2 GPA 2012 / Anhang 2 BöB mit Positivliste für Verteidigung und Sicherheit),

sofern der konkrete Auftrag die Schwellenwerte nach Anhang 4 Ziff. 1 BöB / Anhang 1 IVöB erreicht (Art. 8 Abs. 4 BöB). Die Bezeichnung dieser Leistungen ricühtet sich nach der prov. CPC.

Übrige öffentliche Aufträge für Bauleistungen, Dienstleistungen und Warenlieferungen unterstehen dem Binnenbereich. Sie sind nach den Vorgaben von Anhang 5 BöB öffentlich auszuschreiben (Art. 8 Abs. 5 BöB). Auch der objektive Geltungsbereich ist staatsvertragskonform auszulegen.

Von Sektorenunternehmen beschaffte Leistungen

Öffentliche Aufträge von Sektorenunternehmen (z.B. SBB; Post; Verkehrs- und Elektrizitätsunternehmen) werden objektiv nur erfasst, soweit sie den Kerntätigkeiten funktional dienen, für welche die Sektorenauftraggeberinnen dem Beschaffungsrecht teilunterstellt sind (Art. 4 Abs. 2 BöB / IVöB). Es wird immer die konkrete Tätigkeit betrachtet, für die eine Beschaffung durchgeführt wird. Für die SBB ist also etwa davon auszugehen, dass Leistungen, die dem Bahnbetrieb funktional dienen, in den Anwendungsbereich des Beschaffungsrechts fallen (Bsp: Beschaffung von Forstdienstleistungen durch die SBB, um entlang der Bahntrassen Bäume zu schneiden). «Funktional dient» eine Beschaffung einer Kerntätigkeit, wenn sie diese ermöglicht, erleichtert oder effizienter gestaltet.

Gemischte Beschaffungen

Bei einer Beschaffung, die sich aus Leistungen verschiedener Kategorien zusammensetzt («Leistungsvermischung»; z.B. Warenlieferungen und Bauleistungen), muss die überwiegende Leistung im Gesamtgeschäft festgestellt werden. Die überwiegende Leistung ist diejenige Leistung mit dem grössten Wertanteil in der Beschaffung. Das Gesamtgeschäft wird wie die überwiegende Leistung qualifiziert (sog. Präponderanzmethode). Leistungen dürfen aber nicht unsachlich gemischt oder gebündelt werden, um die Vorgaben des Beschaffungsrechts zu umgehen: Es ist zusammen auszuschreiben, was sachlich zusammengehört – und umgekehrt (Zerstückelungsverbot; Gebot der sachlichen Bündelung von Leistungen; vgl. Art. 8 Abs. 3 BöB / IVöB).

Untersteht nur ein Teil einer zu beschaffenden Leistung dem Beschaffungsrecht (z.B. weil eine Warenlieferung nicht nur der Kerntätigkeit, sondern teilweise auch einer «übrigen Tätigkeit» einer Sektorenauftraggeberin dient; «Zweckvermischung»), ist die gesamte Beschaffung auszuschreiben, wenn ihr wertmässiger Hauptteil der unterstellten Kerntätigkeit dient – oder umgekehrt. Die Präpondranzmethode gilt hier analog.

Allgemeine Ausnahmen von der Anwendbarkeit des Beschaffungsrechts

Tätigkeiten nach Art. 10 BöB / IVöB sind vom Beschaffungsrecht ausgenommen. Auch Anhang VIII BilatAbk befreit gewisse Tätigkeiten von Sektorenauftraggeberinnen von der Ausschreibungspflicht.

Ausnahme von Wettbewerbsleistungen / «Ausklinkung»

Für Beschaffungen zu Gunsten einer gewerblichen Tätigkeit unterstehen Vergabestellen nicht dem Beschaffungsrecht. Art. II:2 lit. a/ii GPA 2012 und Art. 10 Abs. 1 lit. a BöB / IVöB formulieren eine Generalausnahme für Tätigkeiten im Wettbewerb, genauer: für «Beschaffung von Leistungen im Hinblick auf den gewerblichen Verkauf oder Wiederverkauf oder im Hinblick auf die Verwendung in der Produktion oder im Angebot von Leistungen für einen gewerblichen Verkauf oder Wiederverkauf». Betrachtet wird jeweils die Tätigkeit und nicht die rechtliche Eigenschaft einer Vergabestelle. Dies bedeutet:

  • Staatliche Behörden und Einrichtungen des öffentlichen Rechts unterstehen für ihre gewerblichen Tätigkeiten nicht dem Beschaffungsrecht (vgl. etwa Art. 4 Abs. 1 IVöB). Ob eine Beschaffung einer gewerblichen Tätigkeit dient, muss die Vergabestelle im Einzelfall beurteilen.
  • Sektorenauftraggeberinnen unterstehen aus den gleichen Gründen für ihre «übrigen Tätigkeiten» ausserhalb der Kerntätigkeiten (Art. 4 Abs. 2 und 3 BöB / IVöB) dem Beschaffungsrecht nicht. Ob eine Beschaffung einer «übrigen Tätigkeit» dient, muss die Sektorenauftraggeberin im Einzelfall beurteilen.

Von dieser Generalausnahme ist die «Ausklinkung» von Sektorenmärkten zu unterscheiden (Art. 7 BöB / IVöB und Art. 2 VöB; Anhang I Annex 3 Note 2 GPA und Art. 3 Abs. 5 BilatAbk). Herrscht in einem Sektorenmarkt wirksamer Wettbewerb im Sinne des Kartellgesetzes (z.B. im Zuge einer Liberalisierung eines solchen Marktes), so kann der Bundesrat diesen Sektor aus dem Beschaffungsrecht «ausklinken». Denn dank des Wettbewerbsdrucks ist das Korrektiv des Beschaffungsrechts entbehrlich. Sämtliche Beschaffungen von Auftraggeberinnen auf diesem Markt sind danach dem Beschaffungsrecht entzogen – die Ausklinkung wirkt tätigkeitsbezogen und erga omnes. Bis jetzt wurden Märkte im Telekommunikationssektor, im Schienenverkehr in der Schweiz und auf den Güterverkehr auf der Normalspur ausgeklinkt (vgl. die Liste Anhang 1 VöB).

Sonderfragen

Mehrere beteiligte Gemeinwesen / Rechtswahl

Beteiligen sich mehrere dem Bundesrecht und dem kantonalen Recht unterstellte Auftraggeberinnen an einer Beschaffung, so ist das Recht des Gemeinwesens anwendbar, dessen Auftraggeberin den grössten Teil an der Finanzierung trägt (Präponderanzmethode). Überwiegt der kantonale Anteil insgesamt den Bundesanteil, so ist nicht das BöB, sondern die IVöB anwendbar (Art. 5 Abs. 1 BöB / IVöB). Mehrere an einer Beschaffung beteiligte Auftraggeberinnen können jedoch in Abweichung hiervon vereinbaren, eine gemeinsame Beschaffung dem Recht einer beteiligten Auftraggeberin zu unterstellen (Rechtswahl; Art. 5 Abs. 2 BöB / IVöB).

Öffentliche oder private Unternehmen mit ausschliesslichen oder besonderen Rechten, die ihnen durch den Bund verliehen wurden, oder die Aufgaben im nationalen Interesse erbringen, können wählen, ob sie ihre Beschaffungen dem Recht an ihrem Sitz oder dem Bundesrecht unterstellen (Rechtswahl; Art. 5 Abs. 3 BöB / IVöB).

Beschaffungen durch Drittpersonen

Führt eine nicht dem Beschaffungsrecht unterstellte Drittperson oder Stelle eine Beschaffung für eine unterstellte Auftraggeberin durch, so sind auf sie dieselben beschaffungsrechtlichen Normen anwendbar wie für die Auftraggeberin, welche sie vertritt (Art. 4 Abs. 3 BöB / Art. 4 Abs. 4 IVöB). Die Regeln des Vergaberechts dürfen nicht durch das «Vorschieben» eines nicht-unterstellten Dritten umgangen werden.

Inhouse- und In-State-Vergaben

Inhouse- und In-State-Vergaben fallen prinzipiell nicht unter das Beschaffungsrecht. Vgl. Kapitel PPP und Inhouse-Vergaben.

Public Private Partnership (PPP)

Die Beschaffung von Leistungen bei Privaten durch den Staat im Rahmen des «Public Private Partnership» (PPP) untersteht grundsätzlich dem Beschaffungsrecht. Vgl. Kapitel PPP und Inhouse-Vergaben.

Beschaffung von Monopolleistungen

Ein öffentlicher Auftrag untersteht dem Vergaberecht nicht, wenn eine Leistung bei einer Anbieterin beschafft werden muss, die hierfür über ein ausschliessliches Recht (rechtliches Monopol) verfügt (Art. 10 Abs. 3 lit. a BöB / Art. 10 Abs. 2 lit. a IVöB). Diesfalls ist ein Vergabewettbewerb von vornherein nicht möglich.

Übertragung öffentlicher Aufgaben und Vergabe von Konzessionen

Die Erteilung reiner Monopolkonzessionen (z.B. für den Aushang von Plakaten) stellt gemäss Bundesgericht keinen öffentlichen Auftrag dar. Der Staat trete in solchen Fällen nicht als Nachfrager einer Dienstleistung auf – er übertrage nur Rechte aus einem Monopol auf einen Privaten. Wegweisend ist BGE 125 I 209. Dieser Entscheid lässt sich unter dem BGBM (insbesondere im Lichte von Art. 2 Abs. 7 BGBM) nicht mehr in allen Punkten aufrechterhalten. Ein Gemeinwesen darf aber über die Erteilung einer Konzession das Vergaberecht nicht umgehen: Wird bei Erteilung einer Monopolkonzession der Konzessionär etwa verpflichtet, eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen (z.B. einen öffentlichen Fahrradverleih zu betreiben), so liegt ein öffentlicher Auftrag vor (vgl. BGE 135 II 49 [Genfer Plakatfall]).

Nach Art. 9 BöB / IVöB «gelten» nunmehr die Übertragung einer öffentlichen Aufgabe (resp. der entsprechenden Erfüllungsverantwortung; auch oft als «Beleihung» bezeichnet) und die Erteilung einer Konzession als öffentliche Aufträge im Binnenbereich,

  • wenn die Anbieterin dadurch ausschliessliche oder besondere Rechte eingeräumt erhält, die sie im öffentlichen Interesse wahrnimmt,
  • und ihr dafür direkt oder indirekt ein Entgelt oder eine Abgeltung zufliesst.

Spezialgesetzliche Regeln (z.B. Art. 3a StromVG, Art. 60 WRG) gehen vor. Vgl. auch Anhang 5 BöB.

Solche Konstellationen werden beschaffungsrechtlich wie öffentliche Aufträge behandelt:

  • Der Private, dem die Erfüllungsverantwortung für eine öffentlichen Aufgabe übertragen wird, wird funktional zum Verwaltungsträger (Bsp: Entsorgen problematischer Abfälle, was Aufgabe des Gemeinwesens ist). Hierunter fällt auch die Beleihung durch Erteilen einer sog. Konzession des öffentlichen Dienstes.
  • Der Private, der dank einer Konzession ein Ausschliesslichkeitsrecht im öffentlichen Interesse ausübt, befindet sich funktional betrachtet in der Situation des Anbieters im Rahmen eines öffentlichen Auftrags im Sinne von Art. 8 BöB / IVöB. Zu dieser Kategorie gehören auch die «Dienstleistungs-» und die «Baukonzession» des EU-Rechts (Bsp: Betreiben eines Schwimmbads oder eines Parkhauses einer Gemeinde; Erstellen und Betreiben einer Autobahnbrücke).

In beiden Fällen erhält der Private ein Entgelt aus der öffentlichen Sphäre. Ob dieses Entgelt direkt vom Staat oder von den Destinatären der erbrachten Leistung stammt, ist irrelevant. Entscheidend sind die Wettbewerbsneutralität des Beleihungs- oder Konzessionierungsakts sowie der effiziente Einsatz staatlicher Mittel.